40 Jahre Kleine Bühne
Ein Rückblick von Andreas Wirtherle
Was war zuerst - die Arche oder die Kleine Bühne? Genau wie die philosophisch verminte Henne-Ei-Fangfrage lässt sich auch dies nicht in einem Satz beantworten: Während das Ökumenische Gemeindezentrum 1974 gegründet wurde und seit im 1982 fertiggestellten Arche-Gebäude zu finden ist, gehen die Anfänge der Kleinen Bühne auf einen in 1979 gegründeten Arbeitskreis dieses Gemeindezentrums zurück, dessen Aufführungen aber erstmals 1983 im heutigen Kellertheater stattfinden konnten. Während Proben schon immer in „Arche“-Räumen abgehalten wurden, mussten Aufführungen in der Anfangszeit schon aus Platzgründen grundsätzlich „außer Haus“ stattfinden, was logistisch jedes Mal auf's Neue eine Herausforderung war. Als ausgesprochener Glücksgriff erwiesen sich Räumlichkeiten im Keller der Arche, die ursprünglich für eine Kegelbahn vorgesehen waren. Hier durfte sich die Kleine Bühne das heute noch betriebene Mini-Theater mit rund 20 m² Bühne und ca. 80 Zuschauerplätzen fest installieren und hatte fortan etwas, wovon manche von Turnhallen-Terminplanung abhängigen Nachbarbühnen nur träumen können – ein „eigenes“ Theater.
Seit der Initialzündung mit Ephraim Kishons „Der Trauschein“ im Frühjahr 1980 kann die Kleine Bühne nach mittlerweile vier Jahrzehnten auf rund 50 Produktionen zurückblicken. Ein Blick in die Chronik zeigt schnell, dass im Laufe der Jahre außer Oper/Operette schon so ziemlich alles ausprobiert wurde, was man auf einer Bühne machen kann – ob Einakter, klassische oder Boulevardkomödien, Straßen-, Puppen-, Schwarzes Theater, Revue... bis hin zu Hörspiel oder Autorenlesung gab es eigentlich kein Genre, vor dem die Truppe zurückgeschreckt wäre.
Ebenfalls charakteristisch für die Kleine Bühne ist ihre seit Jahren intensiv betriebene Vernetzung mit anderen Amateurbühnen. Neben verschiedenen Gastspielen auf den auf diesem Wege nahezu durchgängig mitgestalteten Kraichgauer Theatertagen pflegt die Kleine Bühne immer wieder gerne den Kontakt mit ihren Nachbarn. Insbesondere die Kooperation mit der Burgbühne Dilsberg hat sich in den letzten Jahren in einer Weise intensiviert, dass die an manche Darsteller gerichtete Frage „Gehörst du zu den Neckargemündern oder den Dilsbergern?“ nur noch mit der Gegenfrage „Inwiefern „oder“...?“ beantwortet werden kann.
Anmerkung des Verfassers
Wer bin ich, dass ich mich nach gerade mal acht von vierzig Jahren so weit aus dem Fenster lehne, einen Rückblick zu formulieren? Kein Problem - die Kleine Bühne wäre keine richtige Theatergruppe, wenn sie nicht in der Lage wäre, auch ein „Urgestein“ vorzuweisen und ein Interview mit ihm zu inszenieren. Ich hatte Gelegenheit, mit Rudi Reimitz zu sprechen und ihn davon zu überzeugen, sich von mir Informationen aus der Nase ziehen zu lassen, ohne die ein solcher Rückblick niemals möglich gewesen wäre.
Interview mit einem Dinosaurier
aw: Wie sahen die Anfänge der Kleinen Bühne aus? - Wie kam es zu ihrer Gründung?
RR: Da muss ich ein bisschen ausholen. Bereits vor dem Bau der heutigen Arche gab es innerhalb des Ökumenischen Gemeindezentrums mehrere kleinere Gruppierungen, die im Rahmen von Jugendarbeit kleinere Stücke inszenierten. 1979 kondensierte sich aus diesen Gruppierungen eine Art Extrakt von Leuten heraus, die „mal so richtig Theater“ im Sinne eines abendfüllenden Stücks auf die Beine stellen wollten. Die Wahl fiel auf Ephraim Kishons „Der Trauschein“, der dann im Frühjahr 1980 unter meiner Regie aufgeführt werden konnte. Das mag jetzt ein bisschen so klingen, als hätte ich das damals alles alleine auf die Beine gestellt, Davon kann allerdings keine Rede sein. Ohne motivierte Mitstreiter wie zum Beispiel der heute noch aktive Hans-Jörg Kopp, der mittlerweile leider verstorbene Günther Kastner und viele andere, die aufzuzählen hier vermutlich den Rahmen sprengen würde, hätten wir das niemals schaffen können. In diesem Zusammenhang darf auch nicht der überaus motivierende Rückhalt unerwähnt bleiben, den wir immer wieder von Pfarrern der Arche, wie Erwin Seifried und Rudolf Atsma, erhalten haben.
Trotz aller Ernsthaftigkeit, mit der wir unser erstes Projekt damals angingen, fiel uns erst nach der Premiere auf, dass wir noch namenlos waren. Der Name „Kleine Bühne“ entstand dann relativ spontan beim Blick auf die räumlichen Gegebenheiten im Lutherhaus. Wie weitsichtig dieser Name gewählt war, merkten wir gut drei Jahre später, als wir 1983 erstmals im heutigen Kellertheater aufführen konnten.
aw: Wie kamst du denn selbst zum Theater?
RR: Meine erste Rolle liegt mittlerweile so weit zurück, dass ich mich nicht mal mehr daran erinnern kann. Und das meine ich völlig ernst: Im Weihnachtsspiel des St Josefskrankenhauses von 1955 hatte ich die große Ehre, als Jesuskind in der Krippe zu liegen. Ich hatte meinen ersten Auftritt also genaugenommen noch bevor ich laufen oder sprechen konnte.
aw: Was macht für dich die Faszination des Theaters aus?
RR: Zum einen fasziniert mich natürlich die Vorstellung, selbst in eine andere Identität zu schlüpfen und Teil einer fiktiven Handlung zu sein. Darüber hinaus ist da aber auch immer eine Neugierde im Spiel, insbesondere, die Grenzen des Machbaren auszutesten. Insbesondere in meiner Funktion als Regie empfand ich es außerdem immer wieder interessant, Inszenierungen nach und nach auf der Bühne entstehen zu sehen und dabei Menschen zu erleben, die ich vorher nur aus völlig anderen Bereichen kannte.
aw: Kann sich jemand, der sich über eine so lange Zeit aktiv mit Theater beschäftigt hat, überhaupt noch entspannt als Zuschauer ins Publikum setzen?
RR: Im Amateurtheater habe ich da tatsächlich Probleme, weil ich in den meisten Fällen auf befreundete Theaterbegeisterte treffe und mich gegenüber der Erwartungshaltung sehe, das soeben Gesehene in der Pause oder nach der Aufführung zu kommentieren. Eigentlich würde ich die Eindrücke oftmals lieber erst mal sacken lassen, weil es mir mit etwas Abstand leichter fällt, konstrukive Kritik zu formulieren.
aw: Ist es dir schon mal passiert, dass du außerhalb des Theaters versucht warst, deinem Gegenüber Regieanweisungen zu geben?
RR: Wie bitte? - Nein! Auch nach 40 Jahren kann ich zwischen Theater und der Realität glücklicherweise noch ganz gut unterscheiden. Ich gebe allerdings zu, dass ich nur sehr schwer als Gast bei Proben sitzen kann, weil ich da sehr wohl Mühe habe, Kommentare zu unterdrücken, wenn ich Ideen zu den geprobten Szenen habe. Ich muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich da Sünden begehe, die ich anderen bei meinen Inszenierungen nur schwer verzeihen kann.
aw: Was bringt dich als Regisseur an deine Grenzen?
RR: Um es gleich vorweg zu schicken: Die Faszination an einer Inszenierung von A wie Auswahl des Stücks bis Z wie Zuschauer applaudieren (hoffentlich!) ist einfach unbeschreiblich. Das ist eine Aneinanderreihung von Spaß bei den Proben, Freude an guten Ideen, die ein Stück nach und nach reifen lassen bis hin zur fiebrigen Aufregung an den Aufführungen.
Aber es gibt in der Tat auch Dinge, die einen Teil der Motivation aufzehren können. Dazu gehören z.B. der nicht zu unterschätzende organisatorische Aufwand,wie Plakate und Programmhefte drucken zu lassen, eine Pausenbewirtung auf die Beine zu stellen und viele andere Kleinigkeiten mehr.
aw: Wenn du so zurückblickst – könntest du drei Stücke benennen, die dich besonders berührt oder fasziniert haben?
RR: Ich glaube, das würde ich gerne anders formulieren: Da fallen mir gleich mal die zwei Revuen „Radiofieber“ und „In der Bar zum Krokodil“ im Doppelpack ein. Die ragen allein schon wegen der für mich unerwartet vielen positiven Rückmeldungen, die wir dazu bekommen haben, deutlich heraus. Nicht zu vergessen natürlich Kishons „Trauschein“, mit dem ja letztlich alles begonnen hat, wovon ich jetzt vermutlich noch beliebig weiter schwärmen könnte. Da wären wir dann aber schnell bei den Top 10 oder 20.
aw: Auf die Gefahr, dass die Frage provokativ wirkt – gäbe es denn umgekehrt auch Stücke, an die du dich nicht mehr so gerne erinnerst?
RR: Um ehrlich zu sein, gibt es das leider auch. Mit Rücksicht auf die betreffenden Darsteller, die dabei aber nicht zuletzt auch Opfer ihrer Regie wurden, würde ich mich dazu aber gerne in Schweigen hüllen.
aw: Gibt es auch Stücke, die du schon immer mal inszenieren wolltest, an die du dich bisher aber nicht herangewagt hast?
RR: Na klar, allein unsere räumlichen Gegebenheiten setzen uns ja erkennbar Grenzen. Nachdem es andererseits aber wider Erwarten möglich war, den „Hauptmann von Köpenick“ zu stemmen, wäre ich mittlerweile durchaus optimistisch, irgendwann auch mal Bertold Brechts „Mutter Courage“ in Angriff zu nehmen. Für deren Planwagen hätte ich auch schon eine Idee – die muss ich unseren Bühnenbauern allerdings erst noch schonend beibringen... Das Stück liegt jedenfalls ganz oben in meiner Schublade der Produktionen, die ich unbedingt noch realisieren wollte.
aw: Na da können wir ja gespannt sein – Vielen Dank für diese Einblicke!